Wirtschaftsnobelpreis 2000: James Heckman — Daniel Leigh McFadden

Wirtschaftsnobelpreis 2000: James Heckman — Daniel Leigh McFadden
Wirtschaftsnobelpreis 2000: James Heckman — Daniel Leigh McFadden
 
Die beiden Amerikaner erhielten den Nobelpreis für »die praktische Bedeutung ihrer Arbeit zur Analyse selektiver Stichproben und diskreter Wahlentscheidungen«.
 
 Biografien
 
James Heckman, * Chicago 19. 4. 1944; seit 1973 ist er Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Chicago, Arbeiten über die Folgen von Anti-Diskriminierungsprogrammen (Affirmative Action), Untersuchungen zur Beziehung zwischen Steuern und Arbeitsmarkt und zwischen Gewerkschaften und Arbeitsmarkt in Entwicklungsländern.
 
Daniel Leigh McFadden, * Raleigh (North Carolina) 29. 7. 1937; 1962 Doktor in Behavioral Science, Fachrichtung Ökonomie an der Universität von Minnesota, 1963-79 an der University of California (Berkeley), anschließend am Massachusetts Institute of Technology, 1990 zurück nach Berkeley.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
James Heckman und Daniel McFadden wurden für »die Entwicklung von statistischen Methoden für die Analyse individueller Entscheidungen« ausgezeichnet. Damit ging der Nobelpreis an zwei herausragende Vertreter der Ökonometrie, einer Teildisziplin der Wirtschaftswissenschaften, die sich mit der Anwendung statistischer Verfahren in der empirischen Untersuchung ökonomischer Zusammenhänge beschäftigt.
 
 Die Ökonometrie
 
Die von beiden Preisträgern entwickelten Verfahren gehören inzwischen zum methodischen Standardrepertoire nicht nur der empirischen Wirtschaftsforschung, sondern auch der empirisch orientieren Arbeit in anderen sozialwissenschaftlichen Disziplinen wie der Soziologie. Praktische Anwendung finden sie in so unterschiedlichen Bereichen wie der Arbeitsmarktpolitik, in der Verkehrspolitik oder in der Marktforschung.
 
Die Ökonometrie wird innerhalb der Wirtschaftswissenschaften oft als schwer zugängliche Hilfswissenschaft gesehen; dies mag an der Abstraktheit und mathematischen Komplexität der ihr zugrunde liegenden theoretischen Modelle liegen. Lange Zeit blieb vielen Ökonomen das wissenschaftliche Erkenntnisprinzip der von einer empirischen Überprüfung mittels beobachteter Daten gefolgten theoretischen Modellbildung fremd. Seit den 1970er-Jahren wuchs aber die Einsicht, dass dieses der Ökonometrie zugrunde liegende Forschungsleitbild eine zuverlässige Anwendung ökonomischer Modelle in der wirtschaftspolitischen Beratung erst möglich macht.
 
Der entscheidende Einfluss, den Heckman und McFadden auf die Entwicklung der Ökonometrie hatten, resultiert nicht allein aus der Entwicklung statistischer Verfahren: Beide beschäftigten sich stets auch mit angewandten Fragestellungen von oft großer wirtschaftspolitischer Bedeutung. Die Notwendigkeit der Entwicklung neuer statistischer Modelle ergab sich dabei erst aus der genauen Analyse einer angewandten Fragestellung — wenn sich zeigte, dass für deren Beantwortung die vorhandenen statistischen Methoden nicht ausreichten. Bei der Verwendung so genannter Mikrodaten (Daten, die sich auf wirtschaftliche Entscheidungen einzelner Personen oder Unternehmen beziehen und beispielsweise aus Haushaltsbefragungen gewonnen werden) treten nämlich Probleme auf, die in der älteren Makroökonometrie unbekannt waren. In der Begründung der Preisverleihung werden bei Heckman die statistische Behandlung des Selektionsproblems, bei McFadden die Entwicklung eines empirischen Modellrahmens zur Analyse diskreter Wahlentscheidungen betont.
 
In einem idealtypischen, aus den Naturwissenschaften bekannten Experiment können alle für die Überprüfung eines theoretischen Modells nicht relevanten Faktoren konstant gehalten werden. Dies ist bei real beobachteten Daten zu wirtschaftlichen Entscheidungen in der Regel nicht der Fall. Schwierig wird die empirische Arbeit beispielsweise, wenn gar nicht für alle relevanten Fälle Daten erhoben werden können — wenn Beobachtungseinheiten wie Haushalte oder Unternehmen in einer Stichprobe nicht repräsentativ erfasst werden können. Ein Beispiel ist das Arbeitsangebot von Frauen: Allein der Mangel an Teilzeitstellen verwehrt vielen Frauen, die eigentlich gerne arbeiten würden, den Zugang zum Arbeitsmarkt. Aussagen über das mögliche Arbeitsangebot dieser Frauen sind schwierig, weil dazu keine Daten vorliegen.
 
 Stichproben und Entscheidungssituationen
 
Der Beitrag von Heckman bestand nun darin, geeignete ökonometrische Verfahren zu entwickeln, die auch in solchen Fällen noch die Ableitung empirischer Aussagen ermöglichen. Der Grundgedanke ist ein zweistufiges Vorgehen: Zunächst einmal muss untersucht werden, für welche Personen oder Haushalte überhaupt Daten erfasst werden können; diese Auswahleffekte können dann bei der statistischen Analyse der eigentlich relevanten Forschungsfrage auf Basis der beobachteten Daten berücksichtigt werden.
 
McFadden beschäftigte sich mit der Analyse von Entscheidungssituationen, die zuvor in der ökonomischen Theorie eigentlich gar nicht vorgesehen waren. Traditionell werden die Entscheidungen von Haushalten und Unternehmen als stetige Größen modelliert — in Abhängigkeit von den herrschenden Preisen kann beispielsweise die Nachfrage oder das Angebot von Gütern zwischen Null und unendlich variiert werden. In der Realität jedoch sind viele Entscheidungen eher diskreter als stetiger Natur: Haushalte können nur ein, zwei, vielleicht auch drei Autos kaufen oder aber keins, nicht jedoch 1,7 Autos. Unternehmen, die ihre Produktionskapazität ausweiten wollen, müssten dafür oft gänzlich neue Produktionsanlagen bauen, können sich nur zwischen einer oder keiner neuen Fabrik entscheiden. Für diese diskreten Entscheidungen war bis Ende der 1960er-Jahre weder die ökonomische Theorie noch gar die empirische Wirtschaftsforschung gerüstet. McFadden entwickelte ein ökonomisch verankertes Modell für diskrete Wahlentscheidungen und, darauf aufbauend, statistische Verfahren, anhand derer sich solche Entscheidungen untersuchen lassen.
 
Ausgangspunkt für diese Arbeiten war ein Forschungsprojekt, mit dem die Nachfrage nach einem neuen Massenverkehrsmittel im Großraum San Francisco prognostiziert werden sollte. Auch hier ging es offenbar um eine diskrete Entscheidung: Wie entscheidet man sich, ob man mit dem Auto, dem Fahrrad oder mit der Bahn zur Arbeit fährt? Offensichtlich hängt die Entscheidung von bestimmtem Merkmalen dieser Alternativen wie den jeweiligen Kosten und der benötigten Zeit, aber auch von Eigenschaften der Entscheider selbst ab. Die auf den von McFadden entwickelten ökonometrischen Verfahren gründenden Vorhersagen erwiesen sich als erstaunlich treffsicher.
 
Heute werden diese Verfahren in sehr vielen Situationen angewendet. Erfolgreich sind sie immer dann, wenn beobachtbare ökonomische Faktoren eine große Rolle für individuelles Verhalten spielen. Dies ist bei der Verkehrsmittelwahl ebenso der Fall, wie wenn es darum geht, ob man ein Jahr früher in Rente gehen oder lieber noch ein Jahr länger arbeiten möchte. Gerade die letztgenannte Situation zeigt, dass Verhaltensprognosen, die mit McFaddens Verfahren erstellt werden können, von großer Bedeutung für die wirtschaftswissenschaftliche Politikberatung sind.
 
J. Winter

Universal-Lexikon. 2012.

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